Ornamentik in der Architektur

Ein Interview von Götz Hinüber
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Theoretischer Diskurs über die Verwendung von Ornamentik in der Architektur

Interview mit Prof. Andreas Denk

Theoretischer Diskurs über die Verwendung von Ornamentik in der Architektur

Interview mit Prof. Andreas Denk
Theoretischer Diskurs über die Verwendung von Ornamentik in der Architektur
Götz: Der Architekt und Architekturtheoretiker Adolf Loos schuf mit seiner Schrift
„Ornament und Verbrechen“ den Grundstein für die Ablehnung von Ornamentik in der
heutigen Architektur.
Können Sie mir darlegen warum ausgerechnet dieses Dokument solch einen Einfluss bis
zum heutigen Tag hat.
Denk: Das ist natürlich ein langer Faden den man aufrollen müsste. Ich kann mal versuchen
Ihn möglichst kurz zu machen. Das hat natürlich mit der Bedeutung Loos am Ende der
Epoche, die wir heute als Historismus bezeichnen. Ein Kennzeichen der Epoche ist nicht nur
das man in Ihren Anfangsgründen Versucht hat, die damals in ihrer Bedeutung
überkommenen Säulenordnung durch etwas anderes zu ersetzen, nämlich durch die
Verwendung von historischen Stilen als Merkmale für die Funktion und Bedeutung von
Gebäuden. Das hatte viel damit zu tun, dass im Laufe der Industrialisierung der Bedarf nach
ganz neuen Bautypen soviel zugenommen hat, dass man eigentlich nicht mehr genau wusste
wie man sie bezeichnen soll. Man wusste nicht wie man einen Bahnhof gestalten soll.
Technisch schon, aber nicht welchen architektonischen Ausdruck er bekommen soll.
Deswegen hat man unter anderem dazu gegriffen, nicht nur Methaffern dafür zu erfinden,
sondern auch sie mit historischen Gewändern sozusagen zu bekleiden die etwas mit der
Epoche zu tun haben sollten, in denen zum ersten mal über solche Bauaufgaben oder
Analogien zu diesen Bauaufgaben nachgedacht worden ist. Das ist der strengere
Historismus.
Götz: Ok, ja!
Denk: Die zweite Fassung die darauf basiert ist, nachdem man sich dann mit dem greek
revival, und dem gothik revival und allen möglichen revival Sorten beschäftigt hatte die
strengere Idee einer unmittelbaren Besdeutungszuweisung über eine historische Analogie
immer weiter aufgelöst wurde. Und das hat wiederum mit der Menge der Bauaufgaben oder
der Menge der Aufträge die bewältigt werden müssen. Es sind nicht mehr nur akademisch
ausgebildete Architekten die so etwas gemacht haben, sondern es ist so dass Architektur
Spekulationsware im großen Umfang wurde; die aber jetzt eben nicht von gut ausgebildeten
Architekten, sondern unter anderem auch von Maurermeistern, Dachdeckern und anderen
Gewerken gemacht werden konnte, die über diese Bedeutungsebene vergleichsweise wenig
wusste. Und ab den 1860er Jahren kann man feststellen, dass solche historischen
Versatzstücke, Gibelmotive, Gesimse, Supraparten, und alles was dazugehört industriell
oder manufakturiel hergestelt werden konnte. Und das jeder der so ein Gwebäude gemacht
hat beliebig daerauf zugreifen konnte und dass das zu einer Überfülle von Ornament an der
Fassade geführt hat. Und da setzt die Bedeutung des Kritikers Loos ein der dann plötzlich
gesagt hat: „das ist ja sozusagen das Verkommenste an architektonischer Kultur schlecht
hin. Da müssen wir zurück, wir müssen im Grunde das Ornament verbieten wenn wir eine
andere Form von architektonischer Haltung haben wollen.“
Götz: Ja gut, zum damaligen Zeitpunkt, wie Sie es mir erklärt haben, macht das Sinn. Wir
haben allerdings heute das Jahr 2015 und aus heutiger Sicht, sind meiner persönlichen
Meinung nach, viele Argumente von Loos nicht mehr haltbar. Also zu nennen wäre hier
Beispielhaft der Gedanke durch den Ornamentverzicht die Arbeiterschaft zu entlasten.
Betriebswirtschaftlich gesehen ist dies nicht haltbar. Auch Anspielungen in den Loos
gewissermaßen Ornamentik mit Tätowierungen gleichsetzt und daraufhin argumentiert dass
nur Verkommene Subjekte und Gefängnisinsassen diese trügen, und daher abzulehnen seien,
mutet fast schon kindisch oder aber ironisch an.
Und da frage ich mich aus der heutigen Sich: wenn dieser Aufsatz von Loos folglich so
offensichtliche Schwächen besitzt, warum wurde dann das Postulat der Ornamentlosigkeit
über so lange Zeit in der Zunft der Architekten duldsam hingenommen oder zumindest nicht
lebhaft diskutiert und kritisch hinterfragt?
Ich habe das Gefühl das das gar nicht hinterfragt wurden ist und das heutzutage eigentlich
durch die Gestaltung fast schon eine Art Psyeudoornamentik geschaffen wird. Man versucht
dann die Gebäudestruktur zu verbiegen, was eigentlich schon fast Ornamentik ist, aber nicht
im eigentlichen Sinn.
Denk: Ja, ich meine man muss jetzt Loos mal etwas rechtfertigen, er hat das nicht
unmittelbar als Architekt geschrieben sondern zu einer Zeit als er im wesentlichen noch
journalistisch tätig war. Er hat in einem Wien geschrieben wo man schon solche fetzigen
Thesen mal los machen musste um überhaupt wahr genommen zu werden. Deshalb ist das
natürlich gnadenlos übertrieben^. Wenn man sich seine Architektur selber anguckt wird man
feststellen dass sie gar nicht ornamentlos ist; nach Außen zwar, im Inneren ist das gepflegte
Ornament durchaus angesagt. Aber es soll eine Angemessenheit zur Funktion haben. Das ist
das entscheidende. In Bereichen in denen Loos Ornament angemessen erscheint darf es
auftauchen. Aber es taucht selten oder fast nie an der Fassade auf. Und da ist der Anzug das
entscheidende was gezeigt werden soll. Da hat Loos das Ideal das im Englischen,
Amerikanischen Kleidungsmodus liegt wo man im Gegensatz zu den noch etwas
verbrämten Anzügen des Mitteleuropa viel straffere Kleidungsordnung hat, die aber
trotzdem lescherer wirkt.
Aber trotzdem ist das richtig, weil Loos schreibt natürlich in einer Epoche wo über Reform-
Architektur nachgedacht wird. Wie können wir das anders machen? Wie kriegen wir
vielleicht auch eine Architektur die eine Entsprechung von Innen und Außen hat? Nicht
irgendwie so ein Gewand und dann ein ganz anderes Innenleben. Es sollte einen Kontext
besitzen. Das was wir Moderne nennen entwickelt sich in dem Zeitraum. Da wird viel über
Materialgerechtigkeit gesprochen, über Sachlichkeit und so etwas. Wenn Sie sich jetzt als
eine mögliche Schlüsselfigur jemanden wie Ludwig Mies van der Rohe angucken dann
sehen sie sofort: naja, der arbeitet in seinen Anfängen auch noch nicht ganz clean,… , aber
plötzlich kriegt er auch so ein Gefühl für Material und so eine Idee eines großen
einheitlichen Raums und versucht plötzlich Das zu übersetzen durch eine Reduzierung von
Allem was sonst noch da sein könnte; nur eine völlige Minimierung von vielen
Gestaltungselementen zu einer Einheit von Konstruktion, Architektur und Raum.
Dieser Sprung ist so ein entscheidender, das also auch aus der loosischen Baupraxis heraus
plötzlich so ein Impuls entsteht, der diesem neuen Gefühl für Architektur Bahn bricht.
Daraus resultiert was sie gerade angeschnitten haben.
Götz: Trotzdem denke ich mir, dass war damals wahrscheinlich angebracht, damit gehe ich
auch dacor, aber es ist vielleicht ein bisschen versteinert und in eine falsche Richtung
gelaufen . Also wenn man sich das Beispiel des Wiederaufbaues des Berliner Stadtschlosses
und ähnlicher Projekte ansieht könnte man den Schluss ziehen, dass die heutige
Bevölkerung den Zugang zur aktuellen Architektur verloren hat.
Oder anders herum gefragt: haben die Architekten verlernt durch Ihre Gebäude mit der
Bevölkerung zu kommunizieren bzw. Emotionen auszulösen?
Denk: Da würde ich in Frage stellen ob es jemals anders war. Das der Zugang der Leute,
über die wir jetzt sprechen, in der Bevölkerung genau so wenig da war wie das heute der
Fall ist. Es liegt einfach an der Sache, das sich einfach verschiedene Elemente der
Architektur grundsätzlich schwer erschließen, weil sie, oft auch intellektuell gedacht sind
und dem können natürlich nicht immer alle Leute folgen. Das ist eine Sache.
Götz: Da hatte ich gerade in der Oktoberausgabe der Architectural Review gelesen, da war
das Titelthema auch Ornamentik, und da wurde die Theorie aufgeworfen, die besagt dass der
Architekt durch die Ornamentik mit den Betrachtern kommuniziert. Dies geschieht
eigentlich dadurch, dass sich in der Ornamentik der handwerkliche und auch materielle Wert
wieder gespiegelt wird. Deshalb war eben meine Frage, wenn wir in der Moderne quasi gar
keine Ornamentik mehr haben, dass man dann quasi gar nicht mehr kommunizieren kann.
Weiter hin sagten Sie in einer ihrer letzten Vorlesungen dass man in den heutigen modernen
Gebäuden nicht mehr auf die Bewohner bzw. Funktionen der Gebäude schließen kann.
Denk: Genau! Wir könnten das als eine Versteinerung der Moderne letzten endlich
bezeichnen. Das natürlich diese fantastischen Ansätze der 1910er und 20er Jahre mit ganz
hohem architektonischen Anspruch selbstverständlich ihre Berechtigung hatten, sie aber
natürlich ein ganz anderes Gesellschaftsideal vor Augen hatten. Da musste der neue Mensch
entstehen, eine neue Gesellschaft. Und für diese neue Gesellschaft sollten diese neuen
Häuser letzten endlich sein.
Götz: Ja
Denk: Das war also sehr Zukunfts gewandt und hat sicherlich die Vorstellungskraft und die
ästhetische Wirksamkeit bei vielen Leuten einfach überfordert. Da muss man sich mal
vorstellen was für Dinger das mit unter waren. Aber diese Haltung, ist glaube ich, nach dem
Krieg zum Teil formalisiert wieder aufgegriffen wurden, zumindest in Deutschland. In
anderen Ländern läuft das so als souveräner Faden durch, aber schon inden 50er Jahren
merkt man, dass zum Beispiel im Congres International de Architectur modern in Siam, gibt
es schon Gruppen wie Jean Carlo de Carlo oder Desmithens die Kritik an dieser almählich
so versteinernden Architektur äußern und sagen: passt auf, dass müssen wir irgendwie
anders machen! So geht es nicht weiter! Das führt zu einer langweiligen immer identischen
und immer weiter sich von den Menschen entfernenden Architektur. Das führt schließlich
bei Le Corbusier zum Beispiel dazu das er anfängt den Beton reliefartig zu bearbeiten. Alles
was vorher noch so ganz glatte, harte Beton-Brut-Fläschen waren wird plötzlich reliefiert.
Bei dem ünitje davidation kommen so Reliefs von Menschen dazu die die Proportionen
anzeigen und so etwas und es gibt Ornamentik und alles mögliche. Relief und ganz viele
Sachen.
Aber auch dieser Faden trägt sich nicht weiter weil es von den hardchor Verfechtern der
Moderne als Sündenfall Le Corbusiers begriffen wurde. Die haben gesagt: stopp mal, was
macht der Alte da? Ist er senil geworden oder wie sollen wir das verstehen?
Götz: Das hat also gar keinen Eingang in die öffentliche Diskussion gefunden?
Denk: Schon! Ronchamp mit der Marienkapelle, das sind ganz Zentrale Gebäude gewesen,
aber für eine andere Architekturauffassung, die dann erst allmählich entsteht. Es gibt dann
den einen Faden der sich immer weiter verstetigenden Moderne, die genau diese Idee hat,
dieser Versachlichung der Architektur, das Konstruktive der Architektur mit dem
Gestalterischen zu verbinden. Und es gibt plötzlich diese andere Idee, die dann mit
Ronchamp vielleicht sogar einen Höhepunkt erreicht, wo es eher um Atmosphäre und
diffuse Raumbildung geht als um die Präzision der Stahl-Glas-Architektur. Wir können
ahnen dass es gerade im Kirchenbau der 60er und 70er Jahre solche Entsprechungen gibt.
Wenn wir in die Bauten Gottfried Böhms in Newiges gehen, oder wenn wir in die
Betonkirchen hier in Köln, da sehen wir wie das diffus räumliche, auch durch Ornamentik
aufgewertet, durch Lichtregie noch nach vorne gebrachte, Atmosphärische eine ganz, ganz
wichtige Rolle plötzlich spielt. Aber das ist eben nur ein Strang der Architektur geblieben.
Wo allerdings auch gerne über Ornament gesprochen wurde. Gerade bei Böhm, wenn man
sich die kleine Kirche in Schildgen anguckt, die ist voll von Ornamenten, die aber wie bei
Le Corbusier in Beton gepresst sind. Aus dem Material herausgearbeitet sind und damit eine
andere Form darstellen als das was man vor 1900 so stark kritisiert hat.
Götz: Ich würde an dieser Stele noch meinen persönlichen Meinung ins spiel bringen, nach
der wir in Zukunft eine Renaissonce der Ornamentik erleben werden. Wenn ich bei meinen
Kommilitonen herum frage merke ich das da schon starkes Interesse besteht. Diese
Entwicklung würde die jetzigen und zukünftigen Baumeister vor die folgenden Fragen
stellen: – In den Zeiten des Industriezeitlaters ist handwerkliches Ornament nicht mehr
bezahlbar.Wie können heutige Ornamente trotzdem Wert vermitteln bzw. welche Werte?
Haben Sie da eine Idee? Oder muss das erst noch in der Zukunft diskutiert und geklärt
werden?
Denk: Ich glaube dass das geklärt werden muss. Was ich einen sehr guten Ansatz finde, ist
zu sagen, dass diese andere Ebene über die wir noch einmal sprechen müssen, dass dieses
Ornament schon bei Gottfried Semper so behandelt worden ist, das es als
Identifikationszeichen der Aneignung durch Menschen ist. Er sagt: wir haben ein
Fleschtwerk in den Uhrhütten vorliegen und das ist schon ornamental gestaltet, das ist farbig
gemacht, weil die Leute dadurch anzeigen wollten: das ist Meins! Die haben also dem Ding
einen Ausdruck gegeben, der nach aussen zu erkennen geben sollte worum es geht.
Deswegen ist der Ansatz ganz interessant den Sie gerade aus Architectural Review zitiert
haben: das man sagen kann das Ornamentik, wie immer sie gemacht ist, so eine Art „appeal
to the eye of the others“ sein könnte. Das man also sagen kann hier sitzt ein Individuum,
dass sich so und so nach Außen darstellt. Etwas das zu weiten Teilen verloren gegangen ist.
Aber wie das gemacht werden kann und wie das architektonisch entwickelt werden kann;
das ist die große Fragestellung.
Götz: Da wäre ja dann eine weitere Frage zu stellen. Da die Funktionen von Gebäuden
teilweise innerhalb von Jahren wechseln und wir heutzutage keine klaren
Gesellschaftsschichten mehr haben, wie können wir dann mit der Bedeutungsebene des
Ornaments umgehen. Wie schätzen Sie dies ein?
Denk: Wenn wir Rem Kohlas richtig verstehen, der ja schon vor vielen Jahren diese Kiste
gefordert hat, die in ihrer Nutzung so variabel sein muss, dass sie sozusagen für alles dienen
kann, ist dessen letzte Konsequenz das Ornament im Bestand zu suchen. Für den ist, was die
Dinge heute unterscheidbar machen, die Sache das er seine Prada-Shops nicht mehr als
Neubau anlegt, und auch nicht als Kiste, sondern das er sie in alte Gebäude die schon
bestehen implantiert, so das sozusagen die historische Bausubstanz zum Ornament der Stadt
wird und dadurch eine Unverwechselbarkeit bekommt den ein Neubau, die Kiste nicht mehr
hätte.
Götz: Wobei das ja dann eigentlich eine Bankrotterklärung ist wenn man sagt ein Neubau
schafft es nicht mehr auch unverwechselbar zu sein oder sich prägend ins Stadtbild
einzufügen. Wenn man sagt man greift nur auf das Alte zurück, ist keine wegweisende
Lösung.
Denk: Ja
Götz: Das waren soweit meine Fragen die ich hatte.
Denk: Also nur Mut drüber nachzudenken. Das finde ich eine super Sache.
Götz: Dann bedanke ich mich bei Ihnen für das gute Interview mit Ihnen.
Danke schön!

Köln, den 07.12.2015

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