DER ANDERE RAUM

von Julia Gralka und Nina Juncker


ICH BIN AN EINEM ORT OHNE ORT.

VON EINER REALEN IRREALITÄT BESTIMMT IN GEORDNETER UNORDNUNG SCHWIMMEND. ICH BIN VON EINER OFFENEN ISOLATION UMGEBEN. MICH AUßERHALB DER ZEIT IN NAHER FERNE BEWEGEND. WENN ICH EINEN ORT OHNE ORT BETRETE BIN ICH ANDEREN RÄUMEN SO NAH WIE NOCH NIE. MIT BEIDEN BEINEN FEST SCHWEBEND:
IN EINER HETEROTOPIE

Foucault spricht in seinem Text von Heterotopien. Er sieht sie als verwirklichte und dadurch zwingend gescheiterte Utopien. Sehen auch Sie eine Verbindung zwischen einer Utopie und einer Heterotopie? Wie würden Sie diese Begriffe definieren? „Eine Verbindung zwischen Heterotopie und Utopie gibt es auf jeden Fall, weil es in beiden Begriffen um Ort und um Raum geht. Die beiden Begriffe kommen eigentlich von einem griechischen Begriff, der heißt „Topos“ und das heißt Ort. Ich würde sagen eine Utopie ist eine gewisse Heterotopie, weil eine Heterotopie ist ein Ort, der anders ist. Und die Frage ist; was wir als anders betrachten, als unterschiedlich. Da muss man sagen, ob das zum Beispiel das Irreale ist. Oder das Ideale. Das sind zum Beispiel auch Formen von Heterotopien.“ Der Mensch hat den Drang , alles zu erfassen und versucht deswegen zwanghaft alles zu ordnen und zu kategorisieren. Foucault spricht in diesem Zusammenhang von „anderen Räumen“. Das Wort „anders“ setzt jedoch die Definition des „Normalen“ vor- aus. Gibt es einen Maßstab, der bestimmen kann, was das Normale ist?

WENN ICH EINEN ORT OHNE ORT BETRETE WEIL ICH NICHT SO WIE IHR ES WOLLT FUNKTIONIERE. VOM WEG ABKOMME. DEN KOPF VERLIERE. DANN VERFRACHTET IHR MICH ZU ANDEREN ORTEN. OBWOHL ICH DOCH EIGENTLICH NOCH HIER BIN. IHR KÖNNT MICH FINDEN DOCH WOLLT ES NICHT DENN ICH BIN EUCH EINFACH ZU UNÜBLICH. ICH STÖRE EUCH BEI EURER UTOPIE DOCH FALLS IHR ES NOCH NICHT BEMERKT HABT: DIE GAB ES NIE ICH BIN NOCH HIER, NUR NICHT BEI EUCH. WENN IHR EUCH DA MAL NICHT SELBER TÄUSCHT

„Es kommt darauf an, in welchem Kontext man von normal und anders spricht und da sind die Maßstäbe sehr unterschiedlich. Wenn wir das Menschliche betrachten, spielt natürlich die Vernunft eine zentrale Rolle. Was wir aber nicht vergessen dürfen, ist das der Mensch nicht nur Vernunft ist und dass in der Hinsicht auch andere Aspekte mit hinein- genommen werden müssen. Hier wehrt sich Foucault eigentlich gegen diese Rationalisierung von der Wirklichkeit. Er sagt eigentlich gibt es viel mehr als Vernunft und deswegen kritisiert er auch den Begriff der Normalität. „[Ein undefinierbarer Raum] würde den Menschen auf jeden Fall beeinflussen in der Hinsicht, dass er sich mit etwas konfrontiert sieht, das er nicht fassen kann. Dass [dieser Raum] nicht unter normalen Begriffen oder Standardformeln irgendwie zu erfassen ist. Und in der Hinsicht ist der Mensch da her- ausgefordert. Auch, dass er in Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit irgendwie unter- scheiden muss, und die Dinge nicht in einem einzigen Begriff oder mit einem einzigen Gefühl auch erfassen kann oder auch mit ihm in Kontakt kommen kann. „Die Frage ist im Grunde, inwiefern Gedanken etwas Reales sind. Und inwiefern das Gedachte als etwas

VON EINER REALEN IRREALITÄT BESTIMMT SCHAU ICH DURCH DEN SPIEGEL UND SEH‘ WER ICH BIN.
DOCH SCHAU ICH DURCH DEN SPIEGEL HINDURCH STATT NUR HINEIN, SEH‘ ICH DORT DRÜBEN JEMAND, DER KÖNNTE ICH SEIN. DOCH FÜHLE ICH HIER WIE ICH STEH MEINEN PULS, FÜHLT DER ANDERE NICHTS, ODER DOCH?
ICH DACHTE NUR KURZ. DER SPIEGEL EXISTIERT UND WAS ICH DORT SEH‘ TUT ES AUCH. DOCH DAS ABBILD VON MIR FÜHLT SEINEN PULS WOHL KAUM.

Gedachtes etwas Reales ist. Und da gibt es in der Philosophie-Geschichte sehr unterschiedliche Meinungen dazu. Ich würde persönlich sagen, dass das in einer gewissen Hinsicht etwas Reales ist, aber ich kann das nicht als real bezeichnen, wie ich z. B. den hier wirklich stehenden Stuhl als real bezeichne.

Das sind unterschiedliche Formen von Realität.
„Ist es richtig, besonders im Bezug auf den Menschen, eine Ordnung durch die Katego- risierung herzustellen. Kann man das überhaupt machen mit den Menschen, sie in nor- male und unnormale Menschen zu teilen? „Ich denke tatsächlich, dass es bis zu ei- nem gewissen Punkt möglich ist, Normen herzustellen, weil wir alle eine menschliche Natur haben. Wir sind alle Menschen und auch trotz aller Unterschiede gibt es eine bestimmte gemeinsame Grundlage, wie die menschliche Natur funktioniert und wonach sie eigentlich strebt. Und es ist egal, ob man das so empfindet oder nicht, ob man vielleicht in einem Moment wütend ist oder ob eine Person irgend- wie belastend ist, dann habe ich trotzdem kein Recht darauf der Person das Leben zu nehmen“

UND IN GEORDNETER
UNORDNUNG SCHWIMMEND VERSUCHT DER MENSCH
EIN ARCHIV ZU ERZWINGEN
UND WIE DER MENSCH ES NUN
MAL AN SICH HAT. DENKT ER.
ER HÄTTE ES GESCHAFFT
HÄTTE ZEIT UND ORT STRUKTURIERT UND SORTIERT SIEHT ABER NICHT WAS IN DER GEGENWART PASSIERT UND IN SO EINER GROßEN WELT EINGEBUNDEN MERKT ER GAR NICHT ER IST ERTRUNKEN.

GRALKA_JUNKER1 GRALKA_JUNKER2 GRALKA_JUNKER3Bildschirmfoto 2018-10-04 um 22.47.03

 

DER ANDERE RAUM

In unserer Ausstellung wollen wir dem Betrachter nahe zu führen, was Gegenstand des von Foucault benutzten Begriffs Heterotopie ist. Dazu konzipierten wir ein raum- unabhängiges Model, dass der Mensch sowohl von außen, als auch innen erfahren kann. Unser Ausstellungsstück selbst ist real. Es symbolisiert die natürlichen und allgegenwärtigen Orte.

Foucault spricht in seinem Text von „anderen Räumen“ als Orte, an die man gebracht wird, wenn man anders ist, als es in der Gesellschaft üblich ist, zum Beispiel Psychiatrien oder Gefängnisse. Diese Menschen sind dann an einem „anderen Ort“ und somit nicht mehr Teil unserer Gesellschaft. Foucault kritisiert, dass die Gesellschaft danach strebt Ordnung zu schaffen und andauernd versucht, eine Utopie zu kreieren, indem sie alles, was gegen sein ideales Weltbild spricht, verbannt. Um seine kritische Haltung bildlich zu verdeutlichen, wird unser Betrachter durch Hineintreten in unseren Entwurf an einen solchen Ort verfrachtet. Die Spiegel wirken nun wie Gitterstäbe. Unser Betrachter ist plötzlich gefangen. Der Betrachter, der zunächst noch der Illusion ausgeliefert war, dass er in einer Utopie lebt, d. h. in einer idealen Gesellschaft, ist nun wirklich mitten im Geschehen und trotzdem aus- geschlossen von der Aussenwelt. Er beendet sich nun in einer offenen Isolation und wurde an einen „anderen Ort“ verfrachtet. Trotz seiner Position erscheint für ihn die Außenwelt üblich. Für die Außenstehenden, die eigentlich den anders-artigen verschwinden lassen wollten, spaltet sich der Isolierte auf. Er wird durch seine Umgebung anders-artiger als vor- her. Sein Abbild wurde zu einer Heterotopie- laut Foucault eine real verwirklichte Utopie.

Das verfälschte Bild des realen Menschens innerhalb des Kubus lässt darauf schließen, dass die gewollte Utopie nicht wie geplant verwirklicht wurde. Die Utopie und das Bild einer idealen Welt, ist offensichtlich fehlgeschlagen. Der Spiegel selbst wird von Foucault als eine Heterotopie beschrieben. Das Element der Spiegelung ist deshalb das Hauptcharakteristika unseres Entwurfs. Durch die Spiegel wirkt es so, als ob die Umgebung und der sich darin beendende Mensch sich multipliziert- mehrere Orte sind auf einmal an einem Ort und ein Ort ist an mehreren Orten gleichzeitig. Die versuchte verwirklichte Utopie bringt nicht wie gewünscht Ordnung, sondern Chaos. Zu Beginn unserer Konzeptentwicklung wollten wir den Menschen als Person darstellen, der an einen dieser „anderen Orte“ verbannt wurde. Während der Umsetzung ist uns dann allerdings aufgefallen, dass die Außenstehenden, die das Übliche darstellen sollten, auf einmal ausgeschlossen sind und anders sehen. Und nicht der Mensch im Inneren, welcher seine Umgebung und seine Mitmenschen klar wahrnimmt. Dies regt uns und soll auch den Betrachter zum Nach- denken anregen: Wer ist in diesem Fall verrückt? – die Personen, die aus unserer Gesellschaft ausradiert werden oder diejenigen, die diese Personen an diese Orte verfrachten wollen?

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