Fragen an einen Philosophen

Anja Jokanovic und Franziska Thielen

Frage:

Wir sprechen mit Dr. Hilger, einem Philosophielehrer des Hölderlin-Gymnasiums in Köln Mühlheim. Herr Hilger, erzählen Sie uns etwas über sich. Wer sind Sie, was machen Sie, in welchem Fach haben Sie ihren Doktortitel erhalten?

Dr. Hilger:

Geboren wurde ich als Thomas Hennig. Ich hab auch als Thomas Hennig meinen Doktortitel gemacht im Fach Neuere Deutsche Literaturwissenschaft, weshalb auf meiner Doktorurkunde steht: Doktor der Philosophie.
Ich fühle mich sehr geehrt, dass ich hier ein paar Fragen beantworten darf, zu einer Arbeit an einer Uni in einem Fach, von dem ich eigentlich keine Ahnung haben dürfte, was sich aber mit Intermedialität beschäftigt. Das rückt Fragestellungen in den Mittelpunkt, nicht nur in einer Darstellungsweise, sondern wie sich verschiedene Darstellungsformen in verschiedenen Medien wechselseitig ergänzen können. Das hat auch etwas mit mir zu tun, weil ich das einfach sehr spannend finde.

Frage:

Wie bereits erwähnt, sollen wir für ein Projekt in der Uni eine Behausung bzw. vielmehr ein Gefährt im Weltall entwerfen. Unser erster Gedanke war, etwas Bekanntes im uns unbekannten, bedrohlichen Weltall zu schaffen. Dann ist uns aber der Gedanke gekommen, dass es uns vielleicht gar nicht so unbekannt ist. Gibt es Ihrer Meinung nach Gemeinsamkeiten zwischen der Erde und dem Weltall oder gibt es das Weltall überhaupt nicht und das alles hier ist ein Weltraum?

Dr. Hilger:

Da haben wir sie, die vielen Perspektiven, die alle ihre Berechtigung haben und man kann mit Argumenten dem einen oder dem anderen Nahrung geben. Ich glaube was hier zentral ist, mit dem Blick auf den Ausgangspunkt mit dem bereits genannten Thema, das sich bezieht auf die Poetik des Raumes von Gaston Bachelard ist eigentlich das Phänomen, was uns bedrohlich erscheint. Heißt, egal wie ich das sehe, hier ist ja auch in der Frage bereits die Aussage „vielleicht ist es uns gar nicht so unbekannt“ gefallen, vielleicht ist es auch gar nicht so bedrohlich. Die Auseinandersetzung, die ich für wichtig halte ist die mit uns selber, mit unserm eigenen Weltinnenraum, die Verbindung zu dem was wir als Weltall bezeichnen ist das was in Frage steht. Mein Bezug ist zunächst auch mein Verhalten zu dem sogenannten Weltall, ob ich davor Angst habe, ob ich es bedrohlich finde, ob ich mich als Teil davon empfinde. Das ist ja erstmal meine Aufgabe das herauszufinden und solang mir das Keiner nur einrede, kann ich mir auch Übungspraktiken vorstellen, die mich durchaus in ein friedliches Verhältnis zum Weltall bringen könnten. Da gibt es ganz alte Traditionen, Meditationstechniken, die mich zur Ruhe kommen lassen und mir erstmal die Angst nehmen, dann habe ich einen anderen Ausgangspunkt meiner Betrachtung nach. Aber wenn Ichs persönlich beantworten soll, würde ich sagen, ich bin kein Freund von diesen künstlichen Trennungen. Wenn ich auf der Erde stehe bin ich im Weltraum, das ist erstmal ein Teil vom Ganzen, aber mit besonderen Lebensbedingungen, die für den Menschen noch erträglich sind. Da draußen, jenseits der Erdatmosphäre müsste man schon sehr künstlich

Frage:

Gaston Bachelard spricht in der „Poetik des Raumes“ von den Bildern des glücklichen Raumes, von der sogenannten „Topophilie“. Denken Sie diese Art von Ortliebe wäre auch im Weltraum/Weltall möglich?

Dr. Hilger:

Noch war ich nicht im Weltall, außerhalb der Erdatmosphäre. Ich stelle es mir kalt vor, ich stelle es mir einsam vor. Wäre ich nicht der Architekt selber des mir zur Verfügung stehenden Raumes, wäre ich also sozusagen ein, wenn nicht Opfer, vielleicht ein Konsument oder Auserwählter, das ich in sowas hinein transplantiert werde, – ich vielleicht noch meine, das wäre für mich eine tolle Erfahrung – warum sollte ich damit glücklich sein, mich zieht es nicht dorthin.

Kant fragt als Aufklärer nach den Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung und das war lange bevor es die Raumfahrt gab. Erfahrung würde ich jetzt erstmal auf meinen Lebensraum beziehen, der nicht im Außerirdischen ist und ich liebe diesen Lebensraum. Warum sollte ich ihn daher verlassen? Ich weiß es nicht. Also für mich, da ich da nicht hinfliegen würde, ist mir der Gedanke unsympathisch und nicht möglich.

 Frage: 

Natürlich würden sich Behausungen/Gefährte im Weltraum/im Außerirdischen durch die gegebenen Umstände von diesen auf der Erde unterscheiden. Wenn sie sich nun dennoch im Weltall aufhalten müssten, weil die gegeben Umstände auf der Erde keinen Aufenthalt mehr möglich machen, was würde nach philosophischen Ansichten diesen Aufenthaltsort im Weltall ausmachen, was würde sie benötigen, wie würde sie aussehen, damit man annähernd so wie hier leben kann, wenn man Aspekte wie Wasser, Strom etc. außen vor lässt. Wenn man auf das menschliche Dasein, auf Gefühle und Emotionen eingeht.

Dr. Hilger:

Ganz einfach ist das dann doch nicht. Es ist ja schon ziemlich kontrafaktisch zur Poetik des Raumes, den Weltraum als Zielort zu bestimmen, der ist im Sinne von der Phänomenologie für die Bachelard steht und die von Heidegger her sich vielleicht auch ableiten ließe, im Sinne eines nicht ganz logischen Ableiten. Wenn ich mich da mit Händen und Füßen gegen wehre, ich hör ja schon die Frage, find sie jedoch schwer zu beantworten. Ich würde meinen, dass der Sinn eines solchen Gedankenexperiementes nur darin aufgehen könnte und müsste – damit beantworte ich die Frage gar nicht – dass umso weiter man sich von der Erde entfernt, desto größer wird das entstehende romantische Gefühl, das der Sehnsucht, das man sich daran erinnert, was man da verlassen hat. Ich kann den Reiz in mir nicht entdecken, die Sehnsucht nach dem Erobern des Weltraums voranzutreiben. Denn der Mensch als Kolonialisator, als Eroberer ist dem Amte wohl bekannt. Und was es heißt ein Raumglück zu empfinden, ein Wohnen als existential in sich zu entfalten, in dem man sich glücklich sehnt.Ich habe keine Angst vor dem Weltall, aber ich habe auch keine Interesse daran. Ich möchte eher dazu beitragen, wenn man schon solche Gedankenexperimente macht, das ihr Sinn daran bestünde, das man sich schnell wieder auf den Rückweg macht und guckt was wir hier an Wohnwert und Lebenswert schaffen können und uns keine unwirklichen Orte fantasieren und die Bedingungen abstrahieren und meinten wir würden dadurch irgendwas gewinnen können, wo wir doch schon Alles haben. Wir könnten es nur noch hinter uns lassen, zerstören, weiter zerstören. Wohl dem Architekturkonzept.

Frage:

Das heißt, Sie sind der Meinung es wird in nächster Zeit nicht dazu kommen, dass wir Menschen im Weltall Leben müssen, da beispielsweise die Ressourcen aufgebraucht wurden und ein Leben auf der Erde nicht mehr möglich ist, das wir bzw. Generationen nach uns gezwungen sind im Weltall zu Leben oder auf das Weltall angewiesen sind. Die Erde vielleicht auch gar nicht kennen und keinerlei

Dr. Hilger:

Vor dem Hintergrund, dass hier nichts mehr zu retten wäre, das würde für mich heißen ich hab schon aufgegeben. Ich gehe in ein Gedankenexperiment über, aber ich verwende gar nicht mehr die Energie, die es bräuchte, um das was noch zu retten ist, aufzubringen. Einen Abgang machen ist immer fein. Die Überlebenschancen im Weltall schätze ich für desaströs ein. Die entscheidende Qualität für ein Leben auf dieser Erde ist, dass wir es lebenswert empfinden und dafür müssen wir es auch so gestalten und die Verantwortung dafür übernehmen. Alles andere sind für mich eigentlich fast schon verantwortungslose Gedankenspiele.

Frage:

Gehen wir aber nochmal davon aus, dass es keine andere Option gäbe, wie würde dann ihr tröstender Raum, wie ihn Bachelard beschreibt, im Außerirdischen aussehen. Ein Raum von Architekten geschaffen, Sie sind nicht auf sich selbst gestellt und haben schonmal auf der Erde gelebt. Sie kennen die Erde und verfügen über die Erinnerungen und auch die Sehnsucht. Wie würde Ihr tröstender Raum aussehen, in dem sie sich ansatzweise wohlfühlen könnten?

Dr. Hilger:

Die Vorstellung, ich sollte mir einen glücklichen Raum vorstellen ohne Pflanzen, ohne Tiere, in irgendeiner Harmoniesoße, die sich die Architekten vorstellen, die dann vielleicht noch irgendwie digital inspiriert ist. Das ist alles schön und gut. Ich kann mich dann ja fühlen wie ich will, ich glaube ich würde lieber zurück bleiben. Ich möchte es nicht, es ist für mich keine Vision erkennbar, die das bewahrt oder mitnimmt, was für mich zu einem glücklichen Dasein dazugehören würde, da bin ich jetzt mal altmodisch. Wenn ich das Haus hinter mir lasse, den Planeten hinter mir lasse, dann reden wir hier nicht mehr über Bachelard, dann reden wir über was anderes. Was zeigt sich da? Bei mir zeigt sich ein Wiederwille, ein Wiederwille mir vorzustellen, ich könnte in einem solchen Kontext ein Raumglück empfinden. Ich kann mir vorstellen, dass es etwas Erhabenes ist in einem Raumschiff zu sitzen und aus einem Fenster zu gucken und in die Weiten des Weltalls zu blicken. Auch ich war mal ein kleiner Junge und hab mich für sowas begeistern können. Aber vielleicht ist das Initiationserlebnis meines Lebens gar nicht meine Doktorarbeit, ich habe mir das gerade mal klar gemacht, ich war 7 Jahre alt, als ich im Schwarz/Weiß-Fernseher meiner Eltern 1969 die Mondlandung gucken durfte. Ich habe natürlich erst später als Erwachsener verstanden, dass das entscheidende Ereignis darin bestand, dass man Filmaufnahmen gesehen hat von der Erde. Das heißt wir haben unseren Planeten zum ersten Mal aus dem All filmisch wahrgenommen. Dieser Blick auf diese Erde aus dieser Aktion heraus ist der vielleicht wichtigere, wertvollere als der hinaus in die unendlichen Weiten des Weltalls, weil auf der Erde haben wir Lebensbedingungen die uns am Leben erhalten können und wir müssen uns darum kümmern. Was da im Weltall auf uns wartet… Viel Spaß!

Frage:

Was heißt denn überhaupt Mensch sein?

Dr. Hilger:

„Was heißt überhaupt Mensch sein“ umkurvt schon die berühmte Frage nach dem Was IST der Mensch. Auch darüber gibt es viele Antworten, die aber durch die Fragestellung den Menschen objektivieren. Mensch SEIN, soweit wir uns selbst als Mensch betrachten, ist unsere Aufgabe das zu erfüllen. Wenn ich mich als Mensch versteh und Mensch sein möchte – wie möchte ich Mensch sein? Was muss ich dafür tun? „Wie muss ich bauen? Wo muss ich bauen? Was muss ich bauen?“ könnten sich Architekten fragen und könnten das auch sehr einfach beantworten. Aber dass sich der Mensch damit nicht gut versorgt fühlt oder bedient sieht nach seinen Wünschen, sondern dass er sich wie Heidegger als in der Welt sein bezeichnet, so ist dieses Mensch sein eben abhängig von einem größeren Zusammenhang, der aber in der Welt und nicht sonst wo, nicht im Weltall liegt, auch wenn die Erde Teil des Weltalls ist, haben wir hier Seins- Bedingungen, die uns das Leben ermöglichen. Also was heißt überhaupt Mensch sein? Könnte bedeuten, sich wieder auf sich selbst besinnen, da kann man jetzt wieder nach jeder Definition, nach jedem Wort fragen, es ist nicht so einfach zu beantworten. Das muss jeder für sich selbst beantworten, Verantwortung für seine Existenz zu übernehmen ist jedem allein gestellt. Nicht jeder tut es und es ist auch schwierig den Rahmen dafür zu entdecken, den Maßstab in sich selbst nicht zu wissen, aber zu suchen halte ich schon für eine gute Sache. Das könnte schon eine Menge mit Mensch sein zu tun haben. Und die Frage was heißt überhaupt Mensch sein, da spricht ja die Sprache. Überhaupt also über meinem Haupt ist ja auch noch ganz viel. Vielleicht sind da Bezüge zu anderen Sphären.

Frage:

Heißt das, unser Mensch Sein verändert sich wenn man die Erde verlässt?

Dr. Hilger:

Man ist angewiesen auf unnatürliche Unterstützung, auf künstliche Unterstützung und ist dann ein Produkt dieser neuen Umstände. Man verlässt ein Erfahrungsraum. Ich kann schon sehr zynisch, wenn das überhaupt noch zynisch ist, sagen, wenn wir endlich alle Tiere ausgerottet haben, brauchen wir auch keine pathozentrische Ökologie mehr. Dann können wir uns ganz auf das Anthropozentrische zurückziehen. Dahinter verbirgt sich in der Regel ein egoistisches, selbstsüchtiges Konzept, das auch für Architekten sehr attraktiv ist, weil man damit viel Geld verdienen kann. Ich möchte nicht die diversen Trump-Tower auf diesem Planeten in Erwägung ziehen. Der Punkt ist, der Mensch verändert sich wenn er seine Lebenssphäre verlässt und alles, was er dafür zu opfern bereit ist. Sollte ihn das glücklich machen, ist er ein anderer Mensch als ich. Ich mag mir das nicht vorstellen.

Vielen Dank für Ihre Zeit und das aufschlussreiche Interview Dr. Hilger!

 

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