Ein Interview von Kristin Niederquell
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„Kommunikation geht rückwärts“
Gerwin: Also du wolltest ein Interview mit mir machen?
Ich: Ja genau, ich wollte dich gerne interviewen.
Gerwin: Ja cool..
Ich: Stell dich mal kurz vor.
Gerwin: Ich bin der Gerwin, bin 19 Jahre alt und studiere jetzt im 3. Semester Design, an der Ecosign in Köln.
Ich: Ich gehe mal davon aus, dass sich im kreativen Studiengang gewisse Dinge ähneln und da wird auch der Stress oft sehr spürbar, oder bemerkbar, und das merke ich auch an meinem Architekturstudium. Ich würde gerne wissen ob du das genauso in deinem Studiengang empfindest und ob sich der Stress da auch so stark bemerkbar macht? Oder denkst du, dass der ganze Stress auch durch etwas ganz anderes hervorgerufen wird? Also nicht nur speziell wegen des Leistungsdruckes in der Uni?
Gerwin: Ja ich denke schon, dass kreative Studiengänge Einen generell sehr fordern und man muss da ja auch kreativ auf Knopfdruck sein. Es gibt dann zwar die Kurse wo man, sag ich mal, gegebene Aufgaben hat, aber auch Kurse wo man selber, im Prinzip, aus sich heraus gestalten muss. Und da kommt auch oft Stress zustande, kann natürlich einerseits sein, wenn man Kreativblockaden hat aber andererseits auch einfach wegen Massen an Aufgaben. Und was auch oft ist, dass die Perfektion und der eigene Anspruch dann dahinführen.
Das mit dem Stress ist glaube ich, für jeden eine gewisse Problematik, also es gibt ja auch total durchstrukturierte Menschen die einen Plan haben: ich mache jetzt das, und dann in zwei Sekunden das, und dann in fünf Sekunden das, und dann ist die Toilettenpause aber ich glaube für manche Leute die in den Tag hineinleben klappt das auch ganz gut. Ich glaube das ist auch typabhängig.
Aber ich denke generell dass, durch das Digitale Zeitalter, vor allem der Stress eben ganz oft durch Technik einfach hervorgerufen wird. Wenn man eine Woche analog leben würde, ohne Smartphone, kann das schon sehr hilfreich sein.
Ich: Meinst du?
Gerwin: Ja ich denke schon! Also ich mache das selber ab und zu. So mein Handy jetzt für einen Tag nicht nutzen. Oder für zwei.
Ja, ich meine, das ist oft für den Menschen ein Problem, dass ich nicht direkt antworte weil, der dann denkt: „Wieso antwortet der nicht?“, oder weil er sieht, dass ich die Nachricht gesehen habe.
Ich: Das ist auch nervig! Ich meine die Welt fordert praktisch von dir, dass du 24 Stunden am Stück erreichbar bist!
Gerwin: Ja definitiv! Und das passiert halt, aber so richtig coole Freundschaften funktionieren eigentlich ohne das. Man sieht sich wieder nach ewig langer Zeit. Und es ist dann wieder so wie vorher. Man umarmt sich und dann redet man über alles, was man in der Zeit gemacht hat, in der man sich nicht gesehen hat. Und beim Handy ist es aber so… man erwartet: „Okay, ich weiß, dass du dein Handy mit dir führst und ich weiß, dass wenn diese beiden Haken blau sind, dass du die Nachricht dann…“
Wir lachend zusammen: Gelesen hast!
Gerwin: So, du kannst mir jetzt antworten, aber man ist irgendwo und hat jetzt nicht den Kopf drüber nachzudenken und das ist dann auch nicht böse gemeint oder so. Und manchmal ist das dann so, dass ich den Leuten sage, ich hab grad keinen Bock zu schreiben ich rufe dich jetzt an! Und das kann auch sehr förderlich sein. Ich glaube auch, dass dieses Digitale Zeitalter und das Internet, vor allem natürlich sehr, sehr viele schöne Seiten hat, aber vor allen Dingen schafft es so eine ständige Abhängigkeit: „Und ich muss erreichbar sein und ich muss jetzt diese Nachricht [lesen] und ich muss jetzt das.“
Bei meiner Deutschlandreise war ich im Computerspielmuseum und dann war das Erste was ausgestellt war.. Briefschach..
Ich: Fragend schauend: „Okay?“
Gerwin: Ja, das heißt, die Leute haben sich gegenseitig die Züge, diese Schachzüge, zugeschickt also..
Ich lachend: Ach so, oh Gott!
Gerwin: Das heißt jeder hatte eine Brieftaube bei sich zu Hause und das hat dann ewig gebraucht bis diese Schachrunde dann zu Ende war..
Ich lachend: Ja.
Gerwin: Aber das hat man früher gemacht. Heutzutage bist du in einem Videospiel und in zwei Sekunden „zack“ spielst du mit jemand anderem. Insofern ist die Verbundenheit natürlich extrem viel höher, aber ob das immer gut ist? Man denkt nur daran, dass Leute mich wieder anschreiben könnten und es könnte jetzt dies passieren und jenes passieren und jetzt muss ich noch Facebook checken. Und das Meiste was ich ja sehe ist, wenn Leute in der Bahn sind und dann scrollen sie in ihrer Timeline und dann sind da die ganzen Memes die dann auch witzig sind, aber es ist auch einfach Zeitverschwendung. Ich kann mir auch
einfach ein Bild nehmen und da ist dann ne Katze drauf die pupst und dann ist das witzig, oder dann gibt es da andere Sachen wie z.B. Leute, die auf einer Klippe stehen und dann steht da drüber „BE FREE“ und dann liken das 100.000 Leute. Das hat zwar eine wahre Aussage, aber in dem Moment wo du an deinem Handy bist, bist du nicht „BE FREE“, sondern dann eher „BE SMARTPHONE“.
Ich: Ist das bei dir auch so? Z.B. als ich früher in der Schule war, da war Facebook für mich eigentlich nur eine Freizeitsache. Da habe ich, eigentlich, nur mit Freunden geschrieben oder immer geguckt was es Neues gibt, ein bisschen gelacht, irgendwas geliket und das war‘s dann auch. Aber jetzt seit dem Studium, ist Facebook erstmal an erster Stelle nur für die Uni da. Da sind tausende Gruppen, wo zahlreiche Leute drin sind, mit denen du dich organisierst oder, eine Gruppe für das ganze Wintersemester 15/16, 14/15, was weiß ich, alles Mögliche! Und dann schreiben da 100 Leute am Tag irgendwas rein und das musst du dann lesen, weil da dann wieder wichtige Infos sind für morgen oder für die nächste Prüfung. Und letztendlich ist man dann eigentlich nur noch da drin um alles zu checken, um zu wissen ob ich jetzt irgendwas verpasst habe oder nicht.
Gerwin: Ich habe auch eine Facebookgruppe von der Uni, aber da gucke ich nie wirklich rein. Bei mir ist Facebook dennoch so nachrichtenmäßig, also ich schreibe mit Leuten aber trotzdem auch timelinemäßig. Der und der hat jetzt das geliket, und der hat das gepostet und dann gibt es dann irgendwie so ein Video wie z.B. das mit dem Drake-Video wo..
Ich lache
Gerwin: Hotlinebling und er hat da die ganze Zeit getanzt und dann hat er die Pizza belegt und die Pokebälle geworfen. Der hat ja alles gemacht! Und das ist dann ja das Internet das darauf total ausrastet. Und dann geht es rum und das ist auch witzig aber irgendwann ist auch genug. Und ich empfinde das mit den Gruppen nicht unbedingt bei Facebook sondern noch eher bei Whatsapp.
Ich: Bei Whatsapp ist es noch viel stärker!
Gerwin: Ja bei Whatsapp… oh das geht mir total auf die Eier! Da sind die Leute und schreiben dann 100.000 Nachrichten in eine Gruppe und letztendlich ist das alles völlig uninteressant und ich denke mir immer: „Wenn irgendwas Wichtiges ist: RUF MICH AN! TELEFON!“
Ich: Aber das tut heute keiner mehr..
Gerwin: Nein, das tut heute keiner mehr! Eigentlich, das Witzige ist ja, man sagt ja immer: „Die Kommunikation ist so weit fortgeschritten“, aber das stimmt gar nicht! Die Kommunikation geht rückwärts!
Ich: Ich meine, anstatt dich kurz anzurufen […] selbst, wenn es sehr dringend ist, wird lieber eine SMS mit 1002 Wörtern verschickt, anstatt eine Minute lang zu telefonieren und alles Notwenige zu klären.
Gerwin: Ja, ja, ja! Vor allen Dingen, es schafft viel mehr Anonymität und es entfremdet eher die Kommunikation
Ich: Finde ich auch.
Gerwin: Z.B. das Interview hier, man redet miteinander und ich stehe dir gegenüber, ich sehe dein Gesicht. Ja ist klar, das geht jetzt mit Skype auch schon, aber es ist auch trotzdem mal was anderes. Wenn ich Lust habe, kann ich dich jetzt auch umarmen.
Keine Ahnung.. und du siehst meine Mimik direkt und du hörst meine Stimme auch in der richtigen Lautstärke.
Ich: Und bei Whatsapp, wie macht man es da aus? Anhand der Smileys.
Gerwin: Anhand der Smileys! Und dann ist das so, dann schreiben die Leute eine Nachricht und dann gibt’s keinen Smiley dann denken die: „Ist das jetzt böse gemeint oder ist das sarkastisch gemeint?“
Ich: Oder: „Ist der jetzt abgefuckt?“
Gerwin: „Ist der jetzt abgefuckt?“ und dann kriegt man nur so ein „okay“ oder so ein „oke“.
Ich: Oder nur so ein „k“.
Wir lachen
Gerwin: Genau oder nur ein „k“ und das hemmt total die Kommunikation. Bei Whatsapp ist es natürlich auch so, man kann viel länger darüber nachdenken, was man denn jetzt schreibt. So, und wenn ich dich anrufe, dann begebe ich dich in die Situation, du musst jetzt reagieren. Davor haben die Leute total Angst und irgendwie, durch diese ständige Verbundenheit, löst es eigentlich das genaue Gegenteil aus. Du isolierst die Leute in ihrem eigenem Zimmer dann läuft das eigentlich nur auf puren Stress hinaus und ständiges Digitales Leben. Und so schön das alles auch ist, es gibt nichts schöneres als eine Gemeinschaft und ich kenne das auch bei „Hipstercafés“: dann setzt man sich zusammen und dann
kann man sich über Gedanken und Dinge unterhalten, und das ist einfach schön gestaltet und ist einfach gemütlich. Und so ergeben sich schöne Gemeinschaften.
Ich: Okay, danke für dieses Interview!
Gerwin: Ja, sehr gerne, ich hoffe ich konnte dir weiter helfen.
Ich: Auf jeden Fall!